Philosophischer Herbst in Todtnauberg

18. Philosophischer Herbst in Todtnauberg
Die Frage nach der Rechtfertigung der Welt.

Sonntag, 3.– Mittwoch, 6. November 2019

Leibniz‘ Monadologie oder: Was dürfen wir hoffen?
Prof. Dr. Dr. Claus-Artur Scheier, Braunschweig

Auf Kants grundstürzende Kritik der „reinen Vernunft“ hat der sogenannte deutsche Idealismus mit seinen Systemen und Systementwürfen geantwortet. Es waren die letzten großen Zeugnisse des Glaubens an einen vernünftig-geschlossenen Kosmos, ehe die industrielle Moderne aufbrach in die unbestimmt-offene Welt, der, sagte Nietzsche, die Antwort auf das „Warum?“ fehlt. Gottfried Benn hat diese Frage schon „eine Kinderfrage“ genannt, und mehr als ein Jahrhundert nach Nietzsche sind wir alle sehr vorsichtig geworden im Umgang mit „Sinnfragen“. Wir neigen dazu, uns lieber „von Fall zu Fall“ zu orientieren, aber Freuds „Unbehagen in der Kultur“ sind wir nicht losgeworden – im Gegenteil.
Allerdings hat das 20. Jahrhundert uns gelehrt, auf „den Anderen“ und „das Andere“ zu achten, denn wo wir nicht wissen, können wir immer noch lernen. Wo aber könnte Offenheit besser gelernt werden als auf der Höhe dessen, was einmal Geschlossenheit war? Auch deswegen bleibt von allen deutschen Dichtern Goethe der populärste. Freilich ist nicht gleichermaßen bekannt, wie sehr Goethe Leibnizianer war, und wir verstehen in der Tat wenig vom 18. Jahrhundert und seinen Folgen, wenn wir nicht verstehen, was das heißt. Miteinander so unverträgliche Denker wie Bertrand Russell und Martin Heidegger haben es früh bemerkt. Man kann also wohl sagen, daß wir unsre Gegenwart nicht sonderlich verstehen, wenn wir nicht gelernt haben, die Grundgedanken dieses barocken Universalgelehrten zu erfassen, der mit einigem Recht der Johann Sebastian Bach der Philosophie genannt werden kann.
Das bezieht sich nicht nur auf den Reichtum und die gedankliche Tiefe seiner Philosophie, sondern auch auf die Schönheit ihres inneren Baus und der sprachlichen Gestalt, in der Leibniz ihn uns zu erklären weiß. Denn dieser Jurist und Historiker, Mathematiker und Physiker, Metaphysiker und Theologe, der mit einer Unzahl von Gelehrten seiner Zeit korrespondierte, war zu all dem noch ein subtiler Schriftsteller – die gebildete Welt des „großen Jahrhunderts“ der französischen Literatur pries die Eleganz seines Französisch. Auch war, was er nicht auf Lateinisch publizierte, keineswegs für den überschaubaren Kreis der Fachleute bestimmt, sondern für die gebildeten Schichten ganz Europas, deren gemeinsame Sprache damals, mehr noch als heute das Englische, das Französische war. Seine Theodizee, diese Folie der gesamten philosophisch-theologischen Diskussion im Europa des 18. Jahrhunderts, ist auch dann noch eine attraktive Lektüre, wenn man sich nicht speziell für die sie tragende Metaphysik interessiert. Aber man wird sich dafür interessieren, kaum daß man etwas länger in diesem umfangreichen Buch liest.
Um wieviel mehr gilt das für die nur aus 90 (10×9) kurzen Paragraphen bestehende und vom ersten deutschen Übersetzer treffend Monadologie genannte Schrift! Leibniz handelt darin 1. von den einfachen Substanzen oder Monaden überhaupt, 2. von dem, was sie auszeichnet, nämlich Vorstellung und unendliches Streben, 3. von der Seele und dem Gedächtnis, 4. vom Geist und den Vernunftprinzipien (Widerspruch und zureichender Grund), 5. von Gott als der unendlichen Monade und 6. von der „prästabilierten Harmonie“ der Monaden-Welt, kraft deren sie – gesehen aufs Ganze ihrer aus einer unendlichen Vergangenheit in eine unendliche Zukunft reichenden Evolution – bekanntlich die „beste aller möglichen Welten“ ist. So ist dies kleine Werk mit literarischem nicht weniger als mit philosophischem Genuß zu lesen, und wir haben an ihm einen Maßstab für unsern eignen tiefsitzenden Verdacht, in eine Welt „geworfen“ zu sein (Heidegger), die so ganz und gar nicht nach der besten aller möglichen aussieht.

Text:

  1. W. Leibniz: Monadologie, Franz./Deutsch, reclam 7853

Der Dozent:

Prof. Dr.med. Dr. phil habil. Claus-Artur Scheier, geb. 1942, Studium der Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg und Hamburg.  Med. Promotion 1968, Approbation 1970, phil. Promotion 1972, phil. Habilitation 1979, seit 1982 Professor für Philosophie an der TU Braunschweig.

Mehrere Bücher und zahlreiche Aufsätze mit den Schwerpunkten klassische Philosophie, deutscher Idealismus, antimetaphysisches Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Philosophie der Kunst.


Donnerstag, 7. – Sonntag, 10. November 2019

Der Sinn des Lebens und die Plausibilität des Fortschrittsoptimismus
Die Rechtfertigung des Bösen im Medium der Gegenwartsliteratur

Prof. Dr. Friedhelm Marx, Bamberg

Wie es um die Rechtfertigung des Bösen, des menschlichen Leids bestellt ist, beschäftigt die Literatur spätestens seit der Aufklärung, die unsere Welt als die beste aller möglichen zu begründen suchte. Angesichts der politischen und ökologischen Katastrophengeschichte des letzten Jahrhunderts hat die Frage an Brisanz gewonnen. Das Seminar nimmt sich zwei Romane der Gegenwart vor, die auf ganz unterschiedliche Weise nach dem Sinn des Lebens und nach der Plausibilität der aufklärerischen Fortschrittsgewissheit fragen:
In seinem Roman „Kraft“ (2017) setzt Jonas Lüscher einen Tübinger Rhetorik-Professor der (hochdotierten) Preisfrage aus, warum alles, was ist, gut ist und wir es trotzdem verbessern können. Den Anlass des Preisausschreibens bildet der 307. Jahrestag des Leibniz-Essays zur Theodizee:  Die Preisfrage in einem achtzehnminütigen Kurzvortrag an der Stanford-University zu beantworten, ist trotz philosophischer Passion kein leichtes Spiel für Richard Kraft, auch wenn sich mit dem Preisgeld von 1 Million Dollar all seine privaten Probleme lösen ließen.
Daniel Kehlmann vergegenwärtigt in seinem Roman „Tyll“ (2018) die ungeheure Brutalität des 30-jährigen Kriegs: Seine Eulenspiegel-Figur taumelt durch eine Welt, die, vom Schrecken gezeichnet, auf der Suche nach Lebenssinn und Erlösung ist. Dabei werden die schillernden Sinnangebote der Religion(en) und die der Kunst radikal auf die Probe gestellt.
Das Seminar liest und diskutiert die einschlägigen Szenen der beiden Romane im Hinblick darauf, wie die Frage nach der Rechtfertigung des Bösen im Medium der Gegenwartsliteratur verhandelt wird.

Texte:

Jonas Lüscher:           Kraft. München: C.H. Beck Verlag 2017.
Daniel Kehlmann:      Tyll. Reinbek: Rowohlt Verlag 2018.

Der Dozent:

Prof. Dr. Friedhelm Marx studierte Germanistik, katholische Theologie an der Universität Tübingen, der University of Virginia (U.S.A.) und der Universität Bonn. Promotion im Jahr 1995 mit einer Arbeit zu den Romanen von Wieland und Goethe, Habilitation im Jahr 2000 mit einer Studie zu Christusfigurationen im Werk Thomas Manns. Seit 2004 Lehrstuhlinhaber für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Bamberg.
Forschungsschwerpunkte: Literatur des 18. Jahrhunderts, das Werk Thomas Manns, Gegenwartsliteratur. Seit 2006 Vize-Präsident der Deutschen Thomas-Mann-Gesellschaft, seit 2014 Mitglied der Jury des E.T.A. Hoffmann-Preises der Stadt Bamberg, seit 2015 Sprecher der Jury des Thomas-Mann-Preises, seit 2017 Mitglied der Jury des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung.

Seminarzeiten:

  1. Tag: 16.00 – 18.00 Uhr, anschließend gemeinsames Abendessen im Hotel Engel
  2. Tag: 09.30 – 10.30 und 11.00 – 12.00 Uhr und 16.00 – 18.00 Uhr
  3. Tag: 09.30 – 10.30 und 11.00 – 12.00 Uhr und 16.00 – 18.00 Uhr
  4. Tag: 09.30 – 10.30 und 11.00  – 12.00 Uhr

Kursgebühr: € 170.-

 

Anmeldung:
Hochschwarzwald Tourismus GmbH, Tourist-Information Bergwelt Todtnau
Kurhausstr. 18
79674 Todtnauberg
07652-12068530
www.hochschwarzwald.de
todtnauberg@hochschwarzwald.de

oder:
Hotel Engel
Telefon: 07671-91190
hotel-engel-todtnauberg@t-online.de

Bergwelt Südschwarzwald