Monatsgedicht
Mai
Alle Landschaften haben
Sich mit Blau gefüllt.
Alle Büsche und Bäume des Stromes,
Der weit in den Norden schwillt.
Blaue Länder der Wolken,
Weiße Segel dicht,
Die Gestade des Himmels in Fernen
Zergehen in Wind und Licht.
Wenn die Abende sinken
Und wir schlafen ein,
Gehen die Träume, die schönen,
Mit leichten Füßen herein.
Zymbeln lassen sie klingen
In den Händen licht.
Manche flüstern, und halten
Kerzen vor ihr Gesicht.
Georg Heym
April
Nicht! noch nicht!
Ein leichter Suff umnebelt die Gedanken.
Verdammt! Der Frühling kommt zu früh.
Der Parapluie
steht tief im Schrank – die Zeitbegriffe schwanken.
Was wehen jetzt die warmen Frühlingslüfte?
Ein lauer Wind umsäuselt still
mich im April –
die Nase schnuppert ungewohnte Düfte.
Du lieber Gott, da ist doch nichts dahinter!
Und wie ein dicker Bär sich murrend schleckt,
zu früh geweckt,
so zieh ich mich zurück und träume Winter.
Ich bin zu schwach. Ich will am Ofen hocken –
die Animalität ist noch nicht wach.
Ich bin zu schwach.
Laternenschimmer will ich, trübe Dämmerung und dichte Flocken.
Kurt Tucholsky
März
Sein Unglück
ausatmen können
tief ausatmen
so daß man wieder
einatmen kann
Und vielleicht auch sein Unglück
sagen können
in Worten
in wirklichen Worten
die zusammenhängen
und Sinn haben
und die man selbst noch
verstehen kann
und die vielleicht sogar
irgendwer sonst versteht
oder verstehen könnte
Und weinen können
Das wäre schon
fast wieder
Glück
Erich Fried
Februar
Nein, schlaft nicht,
während die Ordner der Welt geschäftig sind.
Seid misstrauisch gegen die Macht,
die sie vorgeben
für euch erwerben zu müssen!
Wacht darüber, dass eure Herzen
nicht leer sind,
wenn mit der Leere eurer Herzen gerechnet wird!
Tut das Unnütze,
singt Lieder,
die man aus eurem Mund nicht erwartet!
Seid unbequem,
seid Sand, nicht das Öl im Getriebe
der Welt!
Günter Eich
Januar
Im Neuen Jahr
grüße ich
meine nahen und
fernen Freunde
Grüße die
geliebten Toten
Grüße alle
Einsamen
Grüße die Künstler
die mit
Worten Bildern Tönen
mich beglücken
Grüße die
verschollenen Engel
Grüße mich selber
mit dem Zuruf
Mut!
Rose Ausländer