Monatsgedicht

April

Eva Strittmatter

Möglichkeit

Keinen kenne ich, der den Gesetzen entkam,
die unser Leben bestimmen.
Auch wer allen Willen zusammennahm,
musste stromabwärts schwimmen.

Noch jeden Resignation befallen,
wenn ihn das Alter ereilt.
Wie sehr er sich unterschied von allen:
das wars, was er mit ihnen teilte.

Ich kenne auch keinen versöhnlichen
Gedanken gegen den Zwiespalt des Lebens:
keinen Eingott, keinen Allgott, keine Ideologie.
Lang mühte ich mich vergebens,

ein Gesetz zu finden, das etwas erklärt
oder rechtfertigt wenigst in Teilen.
Doch was man lebend erlebt und erfährt,
lässt sich mit Glauben nicht heilen.

Auch mit Denken kaum. Doch will ich mich nicht
der Resignation ergeben.
Noch fühle ich als Verpflichtung das Licht
und als Möglichkeit das Leben.

März

Gesetzt den Fall, ihr habt ein Schaf gekränkt –
(„Gesetzt den Fall“ heißt „Nehmen wir mal an“) –
Gesetzt den Fall, es hat den Kopf gesenkt
und ist euch böse – ja, was dann?

Dann solltet ihr dem Schaf was Liebes sagen,
ihr könnt ihm auch dabei den Rücken streicheln,
ihr dürft nicht „Na? Warum so sauer?“ fragen,
ihr müsst dem Schaf mit Freundlichkeiten schmeicheln.

Sagt mir jetzt nicht: „Ich wohn doch in der Stadt,
wo soll ich da um Himmelswillen Schafe kränken?“
Ich gebe zu, dass das was für sich hat,
doch bitte ich euch trotzdem zu bedenken:

Ein gutes Wort ist nie verschenkt,
nicht nur bei Schafen, sondern überall.
Auch trefft ihr Schafe öfter, als ihr denkt.
Nicht nur auf Wiesen. Und nicht nur im Stall.

(Na wo denn noch?)

Robert Gernhardt

Februar

Über den Gartenzaun gesprochen

Der Ursprung von drei Weltreligionen
eine Dünendrift aus verminten Zonen –
Da empfiehlt es sich schon
in gemäßigten Ländern
durch ein selbstverfasstes Idyll zu schlendern.
Während ich – schaut nur hin –
meine Blümchen tränke,
wieder Mordsradau in
der Dreigöttersenke –
die ballern uns noch den Erdball entzwei
wegen ihrer dreierlei Rechthaberei.

Unverbindlicher Wink übern Gartenzaun:
Bloß nicht ewig den eigenen Götzen vertraun,
und sich statt an Gebetsbüchern
dumm zu lesen:
Hier sind Hacke,
Harke,
Schaufel und Besen,
und nach zwei drei Jahren erblüht für jeden
vor der eigenen Haustür ein Garten Eden.

Peter Rühmkorf

Januar

Zum Neujahr

An tausend Wünschen federleicht,
Wird sich kein Gott noch Engel kehren.
Ja, wenn es soviel Flüche wären,
Dem Teufel wären sie zu seicht.
Doch wenn ein Freund in Lieb und Treu
Dem andern den Kalender segnet,
So steht ein guter Geist dabei.
Du denkst an mich, was Liebes dir begegnet,
Ob dirs auch ohne das beschieden sei.

Eduard Mörike