15. Philosophischer Herbst in Todtnauberg
So. 6. – Mi. 9. November 2016
Ernst Bloch –
Denken ist überschreiten
Prof. Dr. Gert Ueding, Tübingen
„Denken ist Überschreiten“, dieser kurze Satz aus der Einleitung zum „Prinzip Hoffnung“ formuliert den Grundzug von Blochs Philosophie so apodiktisch und suggestiv, dass man ihn fast schon für selbstverständlich und sogar für eine allgemeingültige Definition des Philosophierens überhaupt halten möchte. Auf keinen Fall bedeutet er eine vertikale Denkbewegung, die z.B. Hegel meint, wenn er vom Aufschwung ins ideelle Reich der Freiheit spricht. Denken heißt für Bloch ein überschreitendes Vermitteln von Subjekt und Objekt auf ein noch ausstehendes, erst zu entwickelndes, vom Menschen mitzuproduzierendes geschichtsimmanentes Ziel hin, es ist handlungs-, praxisbezogen, setzt aber eine Loslösung von den fixen Gegenständen des sinnlichen Bewußtseins und des endlichen Verstandes voraus. In den Dingen selber arbeitet eine Frage ebenso wie im Menschen, die Frage nach dem Wohin und Wozu, so dass also Mensch und Welt in der Perspektive ihres Fragmentcharakters, des Noch-Nicht-Angekommenseins sich entsprechen.
Im Seminar soll das letzte Kapitel von Blochs „Tübinger Einleitung in die Philosophie“ gelesen und gedeutet werden unter den Leitfragen, die auch am Anfang des „Prinzip Hoffnung“ stehen:
„Wer sind wir? Wo kommen wir her? Wohin gehen wir? Was erwarten wir? Was erwartet uns?“
Literatur:
Ernst Bloch: Tübinger Einleitung in die Philosophie, Band 2
Zur vorbereitenden Lektüre:
Gert Ueding: Utopie in dürftiger Zeit – Studien über Ernst Bloch,
Würzburg, Königshausen und Neumann, 2009, 24.80 €
Gert Ueding: Wo noch niemand war. Erinnerungen an Ernst Bloch,
Tübingen, Klöpfer und Meyer, 2016, 22.- €
Der Dozent:
Professor Dr. Gert Ueding, Universität Tübingen. Geb. 1942, Studium der Germanistik, Philosophie, Rhetorik und Kunstgeschichte an den Universitäten Köln und Tübingen, Assistent Ernst Blochs am philosophischen Seminar der Universität Tübingen, 1973 Habilitation an der TU Hannover, Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Oldenburg, Ordinarius für Allgemeine Rhetorik in Tübingen. Autor zahlreicher Bücher, Essays, Aufsätze über die deutsche Literatur, über Philosophie und Rhetorik, Literaturkritiker für große deutsche Tageszeitungen, Herausgeber des 12-bändigen „Historischen Wörterbuchs der Rhetorik“.
Seminarzeiten:
1. Tag: 16.00 – 18.00 Uhr, anschließend gemeinsames Abendessen im Hotel Engel
2. Tag: 09.30 – 10.30 und 11.00 – 12.00 Uhr und 16.00 – 18.00 Uhr
3. Tag: 09.30 – 10.30 und 11.00 – 12.00 Uhr und 16.00 – 18.00 Uhr
4. Tag: 09.30 – 10.30 und 11.00 – 12.00 Uhr
Do.10.- So.13.November.2016
Nelly Sachs und Paul Celan – An der Sprache festhalten
Dr. Florian Strob, Berlin
Und duldest du, Mutter, wie einst, ach, daheim, / den leisen, den deutschen, den schmerzlichen Reim? (Paul Celan)
Völker der Erde, / zerstöret nicht das Weltall der Worte, / zerschneidet nicht mit den Messern des Hasses / den Laut, der mit dem Atem zugleich geboren wurde. (Nelly Sachs)
Die Begegnung von Nelly Sachs und Paul Celan kann als eine literaturgeschichtliche Schlüsselbegegnung nach 1945 gelten. Beide schrieben aus dem auch nach Kriegsende fortdauernden Exil heraus in deutscher Sprache, die zugleich Muttersprache und Tätersprache war. Beide beharrten darauf, darin Worte für die erfahrene Verfolgung und Vernichtung der Juden zu finden, aber auch für die bis ins Unerträgliche spannungsreiche Situation der Überlebenden, für das Fortdauern eines dichterischen Sprechens unter den radikal veränderten Bedingungen nach dem Krieg. Beide trafen sich in der poetischen Ambivalenz von Gesprächsangebot und Hermetik.
Gerade die Motivparallelen der beiden dichterischen Werke verleihen dieser Begegnung eine exemplarische Bedeutung für das Verständnis moderner deutschsprachiger Lyrik – so etwa der „Atem“, der gleichermaßen Leben und Reden ermöglicht. Celans Bremer Rede und die unter dem Titel „Der Meridian“ stehende Büchnerpreisrede eröffnen eine poetologische Perspektive auf diese Versuche, der Sprache eine zuvor unbekannte Existenzmöglichkeit abzuringen, die anders als in Sprache nicht denkbar wäre.
Das Seminar soll sich sowohl mit den berühmten Gedichten beider Autoren aus der frühen Nachkriegszeit befassen als auch mit den bisher unbekannteren Spätwerken, dann mit der poetischen Interaktion, nicht zuletzt im Briefwechsel und in Widmungsgedichten aneinander, und schließlich mit grundsätzlichen Fragen der Poetik nach der Shoah.
Textgrundlage:
Ein Reader wird vorab bereitgestellt.
Für Leseratten:
– Paul Celan – Nelly Sachs, Briefwechsel, st2489
– Zur Vorbereitung eignet sich auch das Spuren-Heft:
„…seit ein Gespräch wir sind…“. Paul Celan bei Martin Heidegger in Todtnauberg.
Spuren 60 Deutsche Schillergesellschaft Marbach am Necker von Axel Gellhaus. ISBN 3-933679-73-7
– Paul Celan: Der Meridian, siehe:
http://www.deutscheakademie.de/de/auszeichnungen/georg-buechner-preis/paul-celan/dankrede
– Florian Strob: Widerstand und Tradition, Das Schweigen der Dichterinnen und wie wir es lesen können
http://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=15645
Der Dozent:
Florian Strob, geb. 1985, studierte Neuere deutsche Literatur, deutsche Sprache und ältere deutsche Literatur sowie Neuere Geschichte an der Rheinischen Friedrichs-Wilhelm-Universität Bonn. 2009 Master of Studies in Medieval and Modern Languages an der University of Oxford. 2013 Promotion an der University of Oxford zur späten Prosa von Nelly Sachs. Lehrerfahrungen an der University of Oxford (Associate Fellow of the Higher Education Academy) sowie 2014 als Sprachlehrer in Berlin. Seit 2014 Studium der Architektur an der Technischen Universität Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter „Nelly Sachs im Kontext – Eine Schwester Kafkas?“ (Hrsg., Heidelberg 2014) und „Schreiben und Lesen im Zeichen des Todes. Zur späten Prosa von Nelly Sachs“ (Heidelberg 2016). Forschungsinteressen: Lyrik (besonders des 20. Jahrhunderts), deutsch-jüdische Literatur, Literatur und Architektur.
Anmeldung:
Bergwelt Südschwarzwald
Kurhausstr. 18
79674 Todtnauberg
07652-12068530
www.hochschwarzwald.de
todtnauberg@hochschwarzwald.de
oder:
Hotel Engel
Telefon: 07671-91190
hotel-engel-todtnauberg@t-online.de