17. Philosophischer Herbst in Todtnauberg
Sonntag, 4.– Mittwoch, 7. November 2018
Martin Heidegger: Bauen – Wohnen – Denken
Prof. Dr. Dr. Claus-Artur Scheier, Braunschweig
Im Ecce Homo, seinem philosophischen Testament, beschwor Nietzsche die künftigen Leser, ihn nicht zu verwechseln, denn er sei ‚der und der‘. Heideggers Schicksal war es, sich selbst zu verwechseln. 1947 notierte er, die „böse und darum schärfste Ge¬fahr“, die dem Denken drohe, sei „das Denken selber. Es muß gegen sich selbst denken, was es nur selten vermag“. Philosophisches Denken ist aber gegenwendig, denn es ist reflexiv. Nicht das Denken, sondern der Denker vermag „nur selten“ gegen sich selbst zu denken. Nicht selten versieht er sich an der Reflexivität noch, wo sie sich gegen ihn sozusagen auf die Hinterbeine stellt im gleichwohl Gesagten.
Die beiden Vorträge von 1951, Bauen Wohnen Denken und „…dichterisch wohnet der Mensch…“ lassen nachvollziehen, wie das Denken die „schlechte und darum wirre Gefahr“ unterläuft, die Heidegger „das Philosophieren“ genannt hat. Mit all seinen ideologischen Implikationen nötigt der von Adorno monierte ‚Jargon der Eigentlichkeit‘ vom Autor weg auf sein Gesagtes zu sehen, auf das in der Sprache des 20. Jahrhunderts Gedachte. Das Andere zur Eigentlichkeit ist nicht die Uneigentlichkeit, sondern die Genauigkeit.
Bei der Lektüre von Heideggers Texten muß sie nicht anderswo gesucht werden – sie baut in ihnen nicht weniger als in den Texten Husserls, Wittgensteins, Sartres oder Adornos. Zum Vorschein kommt sie, sobald mehr auf die Strukturen der zur Sprache gebrachten Sachverhalte gesehen wird als auf deren beständig mitlaufende Selbstverständigung des Denkers. Dann zeigt sich, daß Heideggers „Erinnerung in die Metaphysik“ noch anderes vergegenwärtigt als in Wahrheitsentzug und Seinsvergessenheit. Das in Bauen Wohnen Denken wie ein Jahr zuvor im Ding-Vortrag entfaltete „Geviert“ erweist sich als die Struktur des modernen Denkens überhaupt in seiner geschichtlichen Dimension – in der „ontologischen Differenz“ nicht zur, sondern der Geschichte. Heidegger selbst vermochte diese dritte, die philosophisch „heilsame Gefahr“ nur durch die Verschiebung in die „Nachbarschaft des singenden Dichters“ zu bannen. Im Rückblick läßt sie das Denken gegen „die Armut seines vorläufigen Wesens“ (Humanismusbrief) des Reichtums seiner Gegenwart innewerden:
Bauen Wohnen Denken? Auch nach siebzig Jahren noch eine faszinierende Lektüre.
Textgrundlage:
Martin Heidegger: Bauen Wohnen Denken, in: Vorträge und Aufsätze, Pfullingen 1954 (u. ö.), S. 145-162.
Der Dozent:
Prof. Dr.med. Dr. phil habil. Claus-Artur Scheier, geb. 1942, Studium der Medizin, Psychologie und Philosophie in Freiburg und Hamburg. Med. Promotion 1968, Approbation 1970, phil. Promotion 1972, phil. Habilitation 1979, seit 1982 Professor für Philosophie an der TU Braunschweig.
Mehrere Bücher und zahlreiche Aufsätze mit den Schwerpunkten klassische Philosophie, deutscher Idealismus, antimetaphysisches Denken des 19. und 20. Jahrhunderts, Philosophie der Kunst.
Seminarzeiten:
1. Tag: 16.00 – 18.00 Uhr, anschließend gemeinsames Abendessen im Hotel Engel
2. Tag: 09.30 – 10.30 und 11.00 – 12.00 Uhr und 16.00 – 18.00 Uhr
3. Tag: 09.30 – 10.30 und 11.00 – 12.00 Uhr und 16.00 – 18.00 Uhr
4. Tag: 09.30 – 10.30 und 11.00 – 12.00 Uhr
Kursgebühr: € 160.-
Donnerstag, 8. – Sonntag, 11. November 2018
Die Brücke
Prof. Dr. Hans-Richard Brittnacher, Berlin
Die Brücke ist bei Heidegger ein Beispiel schlechthin für das Bauen des Menschen, für sein Sicheinrichten in der Welt. Sie ist als architektonische Leistung und als Metapher auch ein prominentes Thema der Literatur: Die Brücke spannt sich über einen Abgrund oder einen Strom, überwindet die von der Natur dem Menschen gesetzten Einschränkungen, und verbindet zwei Ufer – oft mehr als das, auch zwei bislang einander fremd gebliebene Welten.
Diese verbindende Funktion der Brücke unterscheidet sie von anderen Räumen des menschlichen Lebens und Wohnens, etwa vom Salon (einem Ort für Repräsentatives und für Geselligkeit), dem Stiegenhaus (als Ort der Begegnung, aber auch des sozialen theatrum mundi [man denke an Doderers Strudlhofstiege], von Keller und Mansarde (als den Orten, in denen man die Vergangenheit entsorgt, Liebesbriefe, derer man sich schämt, verrückte Verwandte [wie in Charlotte Brontës Jane Eyre]), von der Küche als dem zentralen Raum des Zusammenlebens (v.a. im naturalistischen Drama), von Wartesaal und Bahnhofshalle als den Plätzen, an denen noch alles werden kann, der Gefängniszelle als einem Ort der Umkehr oder des Endes, von der Kirche als einem Raum der Einkehr und Buße etc.
Die Brücke hingegen ist ein Transitraum par excellence, kein Ort des Verweilens, eher der Begegnung.
In Ivo Andric’ wuchtigem Roman Die Brücke über der Drina, dem Epos Jugoslawiens, verbindet die titelgebende Brücke das christliche Abendland mit dem islamischen Orient, sie ist ein Schauplatz für das meist friedliche, aber gelegentlich auch gewalttätige, sogar grausame Handeln und Treiben vieler Völker, von Serben, Türken, Bosniern, Juden, Kroaten und schließlich auch Österreichern – in der „Chronik von Višegrad“, wie der Roman im Untertitel heißt, werden vier Jahrhunderte der Geschichte abgehandelt, in der Herrscher und Staatsformen wechseln, nur die Brücke bleibt – bis sie 1914 zerschossen wird und den Untergang der ‚Welt von gestern’ einleitet.
Thornton Wilders vor ein paar Jahren in neuer Übersetzung erschienener kurzer Roman Die Brücke von San Luis Rey von 1928, ein kleines Werk von unerhörter stilistischer Eleganz, wendet das Exemplarische der Brücke, das Andric zu einem nostalgischen Blick auf die Geschichte diente, ins Anthropologische, und erzählt Variationen über das Thema der Liebe: Fünf Liebesgeschichten, die durch das Unglück auf der Brücke ihr Ende fanden, bestätigen doch, jede auf ihre eigene Weise, die Kraft der Liebe, die den Tod überdauert, und verwandeln die Brücke so zu einer Metapher für den Übergang vom Land der Lebenden ins Reich der Toten.
Dies beiden Romane stehen im Zentrum der gemeinsamen Lektüre, flankiert werden sie von einigen Gedichten und kleineren Prosatexten (u.a. Johann Peter Hebel, Theodor Fontane), die behilflich sind, das Thema „Brücke“ kulturgeschichtlich abzurunden.
Textgrundlage:
Ivo Andric: Die Brücke über der Drina, Eine Chronik aus Visegrad, dtv TB
Thornton Wilder: Die Brücke von San Luis Rey, neu übersetzt von Brigitte Jakobeit, Arche Verlag 2014
Der Dozent:
Prof. Dr. Hans Richard Brittnacher lehrt Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Ästhetik des Phantastischen, die Darstellung von Minderheiten, die Literaturgeschichte der Goethezeit und die Abenteuerliteratur. Wichtige Veröffentlichungen: Ästhetik des Horrors. Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche Menschen in der phantastischen Literatur. Frankfurt/Main 1994; Leben auf der Grenze. Klischee und Faszination des Zigeunerbildes in Literatur und Kunst. Göttingen 2012. In Vorbereitung: Seenöte, Schiffbrüche, feindliche Wasserwelten – Ozeanische Schreibweisen der Gefährdung und des Untergangs, hg. von Hans Richard Brittnacher und Achim Küpper, voraussichtlich Göttingen 2017.
Kursgebühr: € 160.-
Anmeldung:
Hochschwarzwald Tourismus GmbH, Tourist-Information Bergwelt Todtnau
Kurhausstr. 18
79674 Todtnauberg
07652-12068530
www.hochschwarzwald.de
todtnauberg@hochschwarzwald.de
oder:
Hotel Engel
Telefon: 07671-91190
hotel-engel-todtnauberg@t-online.de