Philosophisches Lektüreseminar in der Waldhofakademie Freiburg

Wir möchten Sie einladen zu einem literarischen Spaziergang durch die Länder der Europäischen Union:

Jedes Jahr ein neues Land, jedes Jahr eine neue Entdeckung.

Do. 28. – So. 31. August 2025

 

Die Literatur Polens im europäischen Konzert

mit Prof. Dr. H. R. Brittnacher, Berlin

 

Es macht die Tragik Polens aus, zwischen zwei Nationen eingekeilt zu sein, die sich im Lauf der Jahrhunderte nur selten als gute Nachbarn zeigten. Den Höhepunkt seiner Unterdrückung erlebte Polen im und nach dem Zweiten Weltkrieg, durch den Faschismus aus dem Westen und den Stalinismus aus dem Osten. Die dauerhafte Erfahrung der Unterdrückung hat schon immer Resonanz in der Literatur Polens, einer der bedeutendsten Literaturen im europäischen Raum gefunden – zu der aber auch eine markante jiddische und eine vitale deutschsprachige Tradition zählen, die Literatur der Kaschuben (in und um Danzig/Gdansk) und Oberschlesiens (Oberschläsing – Gúrny Slunak). Seit dem Kriegsende lassen sich in der Literatur Polens mehrere Phasen deutlich unterscheiden, in denen auf die stalinistischen Neuausrichtung und Konsolidierung Tendenzen eines zunächst noch leise subversiven, dann offensiven Protests (Solidarnòsc) folgten, bis sich mit der Öffnung des Eisernen Vorhang und der Integration Polens in die Europäische Gemeinschaft eine allmähliche, gelegentlich schlingernde, aber zuletzt konsequente nationale Neubesinnung im Geiste einer parlamentarischen Demokratie durchsetzte.

Die in Polen populäre – und intensiv gelesene – Literatur spiegelt in ihren unterschiedlichen Formen und Formaten auch die historische Erfahrung einer immer wieder gebeutelten, sich immer wieder neu erfindenden Nation: Nirgends haben die literarische Reportage und der Essay als provisorische Erkundung des Anderen und Möglichen ein vergleichbares literarisches Ansehen gewonnen; allenfalls in lateinamerikanischen Traditionen findet sich eine im Widerstand mit der Zweckrationalität der Ordnung dem Magischen und Surrealen so ostentatiiv verschriebene Fiktion; durchaus vergleichbar hingegen (mit Traditionen Sloweniens, Kroatiens oder der baltischen Länder)  ist die Obsession für den großen Familien- und Generationenroman, in den auch von der stalinistischen Kulturpoetik geächtete Stimmen regionaler Minderheiten zu Wort kommen.

Wer Neugierde auf eine sich so sehr in Literatur verständigende Kultur hat, sollte auch extensive Lektüre nicht scheuen. Wir werden in unserem Kurs vor allem zwei Romane behandeln, einen kürzeren von Stefan Chwin (Tod in Danzig, Rowohlt) und einen etwas längeren von Szczepan Twardoch (Drach, Rowohlt), der als eine der interessantesten Stimmen der zeitgenössischen Literatur, als der Hemingway des neuen Polens, gilt. Diese beiden Romane sind problemlos greifbar, einige Texte namhafter polnischer Lyriker (Adam Zagajewski, Maria Szymborska), zur Kunst der Reportage und politischer Aphoristik (Ryszard Kapuszinski, Andrzej Stasiuk, Hanna Krall und Stanislaw Jerzy Lec), Erzählungen des jiddischen Polens (Isaac Bashewi Singer, Bruno Schulz) und des magischen Realismus (Czeslaw Milosz, Slawomir Mrozek) runden das Programm ab und werden als Reader für 8,oo € zur Verfügung gestellt. Wir stellen den Teilnehmern im Ausgleich für ausschweifende Lektüren einen elektrisierenden Wechsel von temperamentvollen Polkas und zarten, traurigen Polonaisen in Aussicht. Wir freuen uns darauf.

Textgrundlage:
Stefan Chwin                  Tod in Danzig, Rowohlt
Szczepan Twardoch         Drach, Rowohlt

Ein Reader mit weiteren Texten wird zur Verfügung gestellt.

Der Dozent:
Prof. Dr. Hans Richard Brittnacher lehrte Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Ästhetik des Phantastischen, die Darstellung von Minderheiten, die Literaturgeschichte der Goethezeit, Literatur und Religion und die Abenteuerliteratur. Wichtige Veröffentlichungen: Ästhetik des Horrors. Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche Menschen in der phantastischen Literatur. Frankfurt/Main 1994; Leben auf der Grenze. Klischee und Faszination des Zigeunerbildes in Literatur und Kunst. Göttingen 2012. Seenöte, Schiffbrüche, feindliche Wasserwelten – Ozeanische Schreibweisen der Gefährdung und des Untergangs, hg. von Hans Richard Brittnacher und Achim Küpper, Göttingen 2018.

Seminarzeiten:
1. Tag Beginn 16.00 mit Kaffee und Kuchen, 16.30. – 18.00
18.00: Abendessen, 19.30-21.00
2. und 3. Tag 09.30-10.30/11.00-12.00 und 16.00-18.00
4. Tag 09.30-10.30/11.00-12.00

Kursgebühr:
Die Kosten entnehmen Sie bitte der homepage des Waldhofes.

 

Dieses Seminar ist der Auftakt einer Reihe von Seminaren, die sich mit der Gegenwartsliteratur unserer europäischen Nachbarn beschäftigt.

Noch immer ist die Europäische Union ein Projekt der Eliten. Zwar war seit Beginn des Prozesses der europäischen Integration von den Bürgern und der europäischen Öffentlichkeit immer wieder die Rede. Doch einen europäischen Bürgersinn sucht man bisher vergebens. Das wird überdeutlich in Krisenzeiten, die eine über die nationalen Grenzen hinausreichende Solidarität herausfordern.

(http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/europas-zukunft/jutta-limbach-ueber-europas-zukunft-es-gibt-keine-europaeische-identitaet-11868798.html)

 

Wie soll dieser gemeinsame Bürgersinn entstehen, von dem Jutta Limbach spricht, wenn nicht dadurch, dass wir mehr erfahren über unsere Geschichte und unsere Geschichten.

Womit beschäftigen sich unsere Nachbarn in ihrer Literatur? Was wird dort erzählt? Und wie wird erzählt? Was erfreut die Leser, was ärgert sie, worüber wird gestritten?

Was wissen wir über den „französischen Leser“, das „italienische Verlagswesen“, die „niederländische Erzählfreude“, die „polnischen Intellektuellen“? Gibt es ureigene „tschechische Themen“? Oder kennen wir „griechische Lyrik“? Gibt es Krimis in Slowenien?

Wir möchten Sie einladen zu einem literarischen Spaziergang durch die Nachbarländer.

 

 

Anmeldung:
Waldhof e.V.- Akademie für Weiterbildung
Im Waldhof 16
D-79117 Freiburg-Littenweiler
Tel.: +49 (0)761 – 67134
Fax: +49 (0)761 – 66584
www.waldhof-freiburg.de

In Zusammenarbeit mit:
Annegret Wolfram, 0711-2367813, www.literaturferien.de

Waldhof e.V.- Akademie für Weiterbildung