Literarischer Frühling auf der Reichenau 2025
13. Literarischer Frühling auf der Reichenau
Sonntag 18. – Donnerstag 22. Mai 2025
Bei Ankunft Mord: Homers Odyssee
Prof. Dr. Melanie Möller, Berlin
Die Odyssee gehört ohne Zweifel zu den betörendsten Texten, die die Literatur zu bieten hat: bis heute. Und das, obwohl der Text wohl bereits zwischen 730 und 660 v. Chr. niedergeschrieben wurde und auf eine weit ältere mündliche Erzähltradition zurückreicht. Die in gut 12100 Versen besungene mythische Welt besteht aus den schillerndsten Charakteren: Neben den vielschichtigen Protagonisten Odysseus treten seine webgewandte Gattin Penelope, die subversive Göttin Athene, die verliebte Nymphe Kalypso, die abgründige Zauberin Kirke, der einäugige Zyklop – diese und viele weitere Figuren sind Exponenten eines bis zur Atemlosigkeit verdichteten Geschehens, das zeigt, wie nah Mythos und Logos, Trieb und Vernunft, Sinne und Verstand einander immer schon waren. Wir wollen uns im Seminar an die Fersen des Odysseus heften und uns mit ihm durch die in 24 Büchern erzählerisch verzweigten Welten nach dem Trojanische Krieg wagen – auf die Gefahr hin, von Riesen bezwungen oder von Strudeln verschlungen zu werden,
Der Text ist mit Blick auf die gröbere Struktur zweiteilig angelegt: Die Bücher 1–12 bereiten auf die Rückkehr des Odysseus nach zehn Jahren vor Troja und zehn Jahren Irrfahrt vor, die Bücher 13–24 sind dann mit der Rückkehr (»Nostoi«) selbst und den Ereignissen auf der Heimatinsel Ithaka befasst. Die geschilderte Zeitspanne lässt sich auf vierzig Tage berechnen, wovon der Großteil von 32 Tagen auf die Reisebücher 1–12 entfällt. Der Struktur nach zerfällt die Odyssee wiederum in drei Teile: die »Telemachie«, die »Phaiakis«, zu der die Apologe zählen, und die von langer Hand vorbereitete Beseitigung der Freier, die sich, 108 an der Zahl, auf Ithaka tummeln und um Odysseus’ Gattin Penelope buhlen. Die Figur des umtriebigen Migranten Odysseus ist in sich komplexer gezeichnet als die Helden der Ilias, und sie genießt die Sympathie ihres Erzählers. Könnte dieser Odysseus einer der Superhelden sein, die Susan Neiman im Vergleich mit Achill für modern genug hält, um menschliche Orientierung zu geben – und die aufgeklärte Gesellschaften im Sinne Dieter Thomäs heute noch oder heute wieder brauchen? Er, dessen Verschlagenheit allein, dessen metis, Peter Sloterdijk es zutraut, die rammdösigen »Lotosfresser« von Europäern aus ihrer Lethargie zu erwecken? Ist diese metis zukunftsweisend? Auch das wollen wir im Seminar diskutieren.
Text/Übersetzung:
Wolfgang Schadewaldt (div. Ausgaben). Wer zusätzlich auch ein Gefühl für den Hexameter entwickeln oder dieses vertiefen möchte, darf gerne auch zu der Übersetzung von Johann Heinrich Voß greifen. Edel ist die illustrierte Übersetzung von Kurt Steinmann, erschwinglich diejenige von Roland Hampe bei Reclam. Zur Einführung sei u.a. auf meine „100 Seiten“ Homer bei Reclam verwiesen.
Die Dozentin:
Melanie Möller ist Professorin für Klassische Philologie mit dem Schwerpunkt Latinistik an der Freien Universität Berlin.
Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Dichtung und Prosa der spätrepublikanischen und augusteischen Literatur, Poetik und Rhetorik, Theorie und Rezeption der antiken Literatur.
Als freie Mitarbeiterin schreibt sie für verschiedene Tageszeitungen. Zuletzt erschienen von ihr: das Ovid-Handbuch
(Stuttgart 2020). Homer. 100 Seiten (Stuttgart 2022), Rhetorik zur Einführung (Hamburg 2022) und Der entmündigte Leser.
Für die Freiheit der Literatur. Eine Streitschrift (Berlin 2024).
Seminarzeiten:
1. Tag 19.30-21.00 (18.00: Abendessen)
2. und 4. Tag 09.30-10.30/11.00-12.00 und 16.00-18.00
3. Tag 09.30-10.30/11.00-12.00
5. Tag 09.30-10.30/11.00-12.00
Kursgebühr:
€ 260.-
Anmeldung bei:
Strandhotel Löchnerhaus
An der Schiffslände 12
78479 Insel Reichenau
Tel.: 07534 – 8030
info@loechnerhaus.de
www.loechnerhaus.de
Organisation:
Annegret Wolfram