Schiffsuntergänge in der Literatur

Dienstag, 3. – Samstag, 7. Oktober 2017

Schiffsuntergänge in der Literatur

Prof. Hans Richard Brittnacher, Berlin

Das Meer ist ein Urelement der Erdgeschichte, ein jahrtausendealter Erfahrungsraum des Menschen und steht seit Homers Odyssee auch im Zusammenhang mit der literarischen Rede an sich. Als zukunfts- und fortschrittsfrohe Unternehmung ist das Abenteuer zur See eine einzigartige Möglichkeit der Er-fahrung und oft mit der Hoffnung auf einen Aufbruch zu neuen Ufern politischer und/oder ökonomischer Art verbunden. Aber was geschieht, wenn die Meeresreise misslingt, wenn das Schiff untergeht, wenn sich die so optimistische Fortschrittmetapher also umkehrt? Nicht zufällig gelten Schiffbrüche und – untergänge als suggestive Metaphern eines katastrophischen Denkens, geradezu als „Daseinsmetapher“ (Blumenberg)
Die Eignung des Meeres als eines einzigartigen Ortes der Herausforderung, der Bewährung, setzt sich auch in jenen Abenteuergeschichten zur See fort, die wohl die literarische Sozialisation der meisten jugendlichen Leser prägen, die von einem Leben auf einsamen Inseln an der Seite Robinsons träumen, die mit Long John Silver auf Schatzsuche gehen oder mit Kaptn Ahab dem weißen Wal hinterher- und mit Christian Fletcher dem sadistischen Captn Bligh davonsegeln. Mag die Reise auch ums Kap Horn führen, wo schon manchen die Hände in der Takelage erfroren sind, oder in die Südsee, wo Taifune wüten – das rauhe Leben an Bord, die meuternde Mannschaft, der Kampf mit tückischen Piraten, das Drama der Flaute stimulieren die Phantasie des Lesers, die auffrischende Brise bringt neue Hoffnung, die grausam enttäuscht wird, wenn sich die Brise zu einem Sturm aufwächst, turmhohe Wellen über Deck spült und das Schiff untergehen lässt. Das Schicksal der wenigen Überlebenden, die im Rettungsbot oder – floß, ohne Wasser, ohne Nahrung, schutzloser noch als zuvor, dem launischen Spiel der Elemente ausgeliefert sind, nötigt ihn zum Mitleid, das, wenn die von unmenschlichen Durst und Hunger und der Sonne gequälten Schiffbrüchigen das Los entscheiden lassen wollen, wen sie im Interesse der Gemeinschaft opfern wollen, dem Entsetzen weicht.
So vielfältig wie die metaphorische Eignung der Schifffahrt für das Staatsschiff, die Kirche, die Lebensfahrt sind auch die von Schiffsgeschichten – und mehr noch Schiffuntergangsgeschichten – in Bewegung gesetzten Empfindungen. Einigen solcher Empfindungen, den Freuden der Fahrt übers Meer, der Entdeckung ferner Lande, dem abenteuerlichen Leben an Bord und dem Kampf mit den tosenden Wellen wollen wir uns in der gemeinsamen Lektüre von einigen ausgewählten Gedichten und Geschichten widmen und auch in der Betrachtung von einigen Werken aus der Bildenden Kunst wie Théodore Géricaults Das Floß der Medusa, in dem die Schiffskatastrophe mit ihren schrecklichsten Begleiterscheinungen anschaulich wird. Im Zentrum des Seminars steht die Lektüre eines Romans von Edgar Allan Poe, dem Großmeister der Schauer- und Kriminalgeschichte. Er hat mit seinem einzigen Roman Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gordon Pym aus Nantucket einen fulminanten Beitrag zur nautischen Poetik geliefert, der wie kein zweiter die Geschichte von Untergang und Rettung erzählt, verbunden mit Motiven, die zum eisernen Bestand der nautischen Poetik gehören, Sturm, Meuterei, Schiffbruch, Rettung, Begegnung mit einem Gespensterschiff und dem alles verschlingenden Maelstrom.

Textgrundlagen
Eine Sammlung von Erzählungen und Gedichten wird in einem Reader zusammengestellt. Der Roman Die denkwürdigen Erlebnisse des Arthur Gordon Pym aus Nantucket von Edgar Allan Poe ist problemlos als Taschenbuch (etwa bei Diogenes) greifbar.

Der Dozent
Prof. Dr. Hans Richard Brittnacher lehrt Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Ästhetik des Phantastischen, die Darstellung von Minderheiten, die Literaturgeschichte der Goethezeit und die Abenteuerliteratur. Wichtige Veröffentlichungen: Ästhetik des Horrors. Gespenster, Vampire, Monster, Teufel und künstliche Menschen in der phantastischen Literatur. Frankfurt/Main 1994; Leben auf der Grenze. Klischee und Faszination des Zigeunerbildes in Literatur und Kunst. Göttingen 2012. In Vorbereitung:  Seenöte, Schiffbrüche, feindliche Wasserwelten – Ozeanische Schreibweisen der Gefährdung und des Untergangs, hg. von Hans Richard Brittnacher und Achim Küpper, voraussichtlich Göttingen 2017.

Seminarzeiten:
1. Tag                  19.30-21.00 (18.00: Abendessen)
2. und 4. Tag       09.30-10.30/11.00-12.00 und 16.00-18.00
3. Tag                  09.30-10.30/11.00-12.00
5. Tag                  10.00-12.00

Kursgebühr: € 170.-

Veranstaltungsort:
Hotel Graf Bentinck
Dauenser Straße 7
26316 Varel-Dangast
Tel. 04 451/139-0
info@bentinck.de
www.bentinck.de

Organisation: Annegret Wolfram, 0711 2367813, www.literaturferien.de

Hotel Graf Bentinck